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Das Manifest der Postfuturisten (2o19)

1. Wir erkennen die wissenschaftlichen Erkenntnisse an, die der Weltöffentlichkeit darlegen, dass der „moderne“ Lebensstil, dem ein wachsender Anteil der Weltbevölkerung folgt, vom Ökosystem Erde nicht getragen werden kann.

2. Wir geben zu, dass dieser Wohlstand momentan auf der Ausbeutung von Anderen basiert und auf der Externalisierung von Folgeschäden.

3. Wir sehen der Tatsache ins Auge, dass über die letzten 30 Jahre die Bestreben, die negativen Auswirkungen des menschlichen Handelns zu verringern, konsequent versagt haben, weil es für zukunftsweisend gehalten wurde, falsches Verhalten durch bessere Technik weniger schädlich zu machen oder es durch weitergreifende Reglementierung zu verändern. Dies führt allenfalls zu einer stärkeren Verbreitung des weniger-Schlechten – dem Reboundeffekt.

4. Wir bestätigen durch erfolgreichen Selbstversuch, dass zur Schaffung von mehr menschlicher Begegnung nicht neue Apps, sondern einladende, öffentliche Räume benötigt werden; dass nicht Gentechnik und Massentierhaltung, sondern ökologischer, regenerativer Anbau den Welthunger beenden können; dass ethisches Verhalten nicht durch Überwachungskameras, sondern durch die Entwicklung einer reifen Haltung gefördert wird; dass nicht Konkurrenzdenken, sondern Neugierde in Kindern gefördert werden muss, damit es ihnen möglich ist, sich zu freien, selbstbestimmten Menschen zu entwickeln.

5. Wir demonstrieren, dass nicht Sklavenarbeitsplätze unsere Lebensqualität sichern, sondern dass wir unsere Lebensqualität sichern, indem wir uns unserer Leidenschaft hingeben.

6. Wir erklären vor diesem Hintergrund die Vision einer Zukunft, die auf „effizienterer“ Technologie, „smarterer“ Ressourcennutzung, Entfremdung und Ausbeutung basiert, als tot.

7. Wir erkennen den Frieden, den Wohlstand und die Freiheit, die Menschen heute in vielen Ländern der Erde haben, als eine historisch einmalige Chance, eine menschenwürdige Kultur zu entwickeln, zu leben und zu fördern.

8. Wir betonen mahnend und frohlockend, dass Freiheit Verantwortung bedeutet und Verantwortung Freiheit: In einer freien Demokratie zu leben bedeutet, dass man tun kann, was man will und dass es umso wichtiger ist, den Willen hart darauf zu prüfen, ob er aus innerer Freiheit entstanden ist! Nur, wer willens ist, umfassend Verantwortung zu übernehmen, ist überhaupt in der Lage, mit Freiheit umzugehen. Die Demokratie ist ein hohes Kulturgut und die Grundlage der weiteren, kulturellen Entwicklung der Menschheit. Sie wird erodiert von Jedem, der verantwortungslos mit der anvertrauten Freiheit umgeht.

9. Wir zeigen auf, dass das, was in der Welt passiert, die Summe dessen ist, was jeder Einzelne jeden Tag tut. Damit sich die Richtung der weltweiten Entwicklung ändert, muss deshalb das alltägliche (private sowie berufliche) Tun eines jeden Menschen ein anderes werden.

10. Wir erkennen an und fordern die Einsicht, dass jeder einzelne Mensch verantwortlich für sein Handeln und die daraus entstehenden Konsequenzen ist.

11. Wir bestätigen, dass wir uns selbst ändern können und in Anbetracht der Situation müssen: Es sind nicht „die Politiker“ oder „die Manager“ oder „das System“, die „Schuld“ an den Missständen oder verantwortlich für deren Behebung sind, sondern es sind wir – jeder Einzelne – die sich bei jeder Handlung entscheiden können Teil des Problems oder auch Teil der Lösung zu sein.

12. Wir erkennen an, dass wir – insofern wir in einer der technisierten Regionen der Welt leben – bereits dadurch, dass wir ein angepasstes, normales Leben führen und brav unseren Müll trennen, massiv zur Verstärkung der weltweiten Probleme beitragen. Nur eine tiefgreifende und wohlüberlegte Veränderung unserer Selbst und unserer Gewohnheiten kann dazu beitragen, einen insgesamt positiven Einfluss auf die Welt zu nehmen.

13. Wir würdigen, dass die Natur wertvoll ist – dass aber Menschlichkeit ein Kulturgut ist und ein Zustand, der der Natur des Menschen gerecht wird; und dass dieser nicht derselbe Zustand sein muss, wie der natürliche. Daher streben wir weder einen natürlichen – im Sinne von prä-kulturellen – Zustand an, noch rechtfertigen wir unmenschliche Zustände damit, dass sie natürlich sind.

14. Wir stellen fest, dass die meisten Menschen nicht denken, wenn sie denken, sie dächten, sondern „kohärente Geschichten“ darüber „erfinden“, warum sie in bestimmten Situationen nur so wie gewohnt und nicht anders handeln können. Denken ist eine würdige Kunst, die in einem langen Prozess der Selbsterkenntnis erlernt wird und nicht durch Medienkonsum oder Stammtischgespräche.

15. Wir wiederholen die längst von Anderen getroffene Aussage, dass das sture Festhalten der kapitalistischen Systeme und Machthaber an den menschen- und lebensfeindlichen Entwicklungen keinen Unfall im Kapitalismus darstellt, sondern ein zwangsläufiges Ergebnis des „liberalen“ „Denkens“ der Akteure genauso wie dem der Konsumenten ist. Die Schlussfolgerung, alles, was punktuell ökonomisch tragfähig ist, sei alleine dadurch in seiner Existenz gerechtfertigt, steht durch ihre Blindheit dem guten Leben, der Entwicklung der Kultur und dem Fortbestehen der Natur im Weg.

16. Daher fordern wir uns selbst und alle Anderen dazu heraus, unser aller gewohntes Leben und Tun ehrlich und ergebnisoffen anzuschauen und zu hinterfragen. Und dazu, eine globale, postfuturistische Gesellschaft zu entwickeln indem wir in einem Akt der Selbstermächtigung unser Leben so verändern, dass die natürlichen Grenzen des Ökosystems eingehalten werden und gleichzeitig ein gutes Leben für jeden Einzelnen möglich ist – jetzt und in Zukunft.

17. DAS KANN JEDER.



Creative Commons Lizenzvertrag

Das Manifest der PostFuturisten (2019) von Bine & Jens von postfuturismus.de ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Thank you, Franco Berardi, who published his version of „The Post-Futurist Manifesto“ in 2009. As can be found here: http://www.generation-online.org/p/fp_bifo5.htm

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